Monika Hanauska: „Historia dye ist ein gezuyge der zijt“. Untersuchungen zur pragmatischen Formelhaftigkeit in der volkssprachigen Kölner Stadthistoriographie des Spätmittelalters (= Germanistische Bibliothek. Bd. 55). Heidelberg: Universitätsverlag Winter 2014. 538 S., 8 Abbildungen, ISBN 978-3-8253-6230-0Die Trierer Dissertation beschäftigt sich mit dem Gebrauch von Sprichwörtern und Routineformeln (also mehr oder minder festen Phrasen und idiomatischen Wendungen) in fünf der wichtigsten Kölner deutschsprachigen Geschichtsdarstellungen des späten Mittelalters. Es sind dies die Reimchronik des Gottfried Hagen (von ca. 1269/1271), die anonyme „Weverslaicht“ (von ca. 1371-1396), „Dat Nuwe Boych“ des Gerlach vom Hauwe (von ca. 1396-1398, siehe hierzu auch die Online-Edition:
http://www.neuesbuch.uni-trier.de/?t=text), die „Agrippina“ des Heinrich van Beeck (von ca. 1469-1472) und die Koelhoffsche Chronik (von ca. 1494-1499).
Sprichwörter und Routineformeln werden in diesen Werken gezielt eingesetzt, um sie zu strukturieren, die inhaltlichen Kernaussagen zu transportieren und dazu die Zuhörer- oder Leserschaft anzusprechen, Verweise zwischen den einzelnen Teilen herzustellen, Aufmerksamkeit zu erzeugen, Zeitebenen darzustellen oder zu verwischen oder komplexe Sachverhalte leichter verständlich zu machen. Während in der älteren Forschung Routineformeln eher als schlechter Stil, bei gereimten Werken auch als ungelenke Notbehelfe zur Herstellung eines Reims, angesehen wurden, kann Hanauska ihre gezielte Nutzung durch die Autoren der fünf Werke für die Erreichung ihrer jeweiligen mit dem Abfassen verbundenen Absichten nachweisen. Das schließt schlechten Stil und erzwungene Reime nicht aus, wirft aber im Ganzen ein neues Licht auf die Kölner Stadthistoriographie des Spätmittelalters und auf die literarischen Einflüsse, die auf sie gewirkt haben.
Die Arbeit beruht auf überzeugenden methodischer Prämissen, die von der Arbeit der Trierer Nachwuchsforschergruppe „Historische Formelhafte Sprache und Traditionen des Formulierens“ (HiFoS) inspiriert wurden. Sie lässt sich unter verschiedenen Aspekten lesen: Zunächst als Beitrag zur germanistischen Forschung im Bereich der historischen Phraseologie, der auch dort zur Kenntnis genommen werden wird, wo nicht die Kölner Stadtgeschichte im Zentrum des Interesses steht.
Sodann als Beitrag zur Vertiefung unserer Kenntnisse zu allen fünf untersuchten Werken. Sie alle sind in der Forschung nicht unbekannt. Die hier gebotenen Zusammenfassungen des Forschungsstands zu Entstehung, Autor, dessen Absichten, möglichen Rezipienten und Rahmenbedingungen sind gleichwohl nützlich, da sie auf engem Raum einen konzentrierten Zugang bieten. Die Untersuchung der jeweiligen Funktionen der Sprichwörter und Routineformeln führt dann darüber hinaus zu einem besseren Verstehen der Darstellungen und ihrer beabsichtigten Wirkung. Jegliche Forschung zu Geschichtsbewusstsein, Selbstverständnis und Vorstellungswelt der Kölner – soweit sie auf der Rezeption von Geschichtsdarstellungen beruhen – wird künftig nicht mehr an dieser Arbeit vorbeikommen.
Das gilt umso mehr, als sich im Anhang eine Zusammenstellung aller gebrauchten Sprichwörter findet, und zwar soweit ermittelbar mit Belegen zu ihrer Herkunft. Die Sprichwörter werden systematisch nach semantischen Bereichen ihrer Nutzung (also „Macht“, „Recht“, „Gott (Religion)“ usw.) und nach der spezifischen Nutzung innerhalb dieser Bereiche (also z.B. bei „Handeln“ „richtiges Handeln“, „falsches Handeln“ usw.) geordnet. Damit sind nicht allein die untersuchten historiographischen Werke deutlich besser hinsichtlich ihrer Quellen und der grundlegenden Haltungen ihrer Autoren und auch wenigstens eines Teils ihrer Leser erschlossen. Setzt man voraus, dass die hier nachgewiesenen Sprichwörter einen Sitz im Leben der Kölner im Spätmittelalter hatten, kann die Zusammenstellung als Basis für weitere Studien zu Werten, Mentalität und Selbstbild genutzt werden, die weitere Quellen sowohl aus dem Bereich der Historiographie, als auch aus Verwaltung, Politik und Rechtsprechung genutzt werden.
Insgesamt ist der Arbeit daher weite Verbreitung über den engeren germanistischen Bereich hinaus zu wünschen. Aus Sicht des Historischen Archivs der Stadt Köln ist noch hinzuzufügen, dass das Buch trotz des Einsturzes entstehen konnte, ohne dass auf die Verifizierung älterer Editionen anhand der Originale verzichtet werden musste: Die vorhandenen Mikrofilme und deren digitale Bereitstellung ermöglichen es auch jedem Leser, die Ergebnisse zu überprüfen.